Ich brauche Platz zum Atmen


Wann bin ich erfolgreich? Wann habe ich einen Wert? Wann sehen andere etwas in mir? Wann sehe ich endlich etwas in mir? Jetzt, wo sich mein Studium dem Ende neigt, mache ich mir unheimlich viele Gedanken darüber, wie ich mein Leben gestalten möchte. Langfristig, meine ich. Als Studentin hatte ich unendlich viele Ausreden parat. Da probiert man sich noch aus, darf Fehltritte machen und jeder versteht, wenn es finanziell mal eng wird. Aber ich werde auch nicht jünger und spüre langsam einen gewissen Druck. Ich nenne ihn das "Rory-Prinzip", auch wenn ich nicht halb so klug oder gar organisiert bin wie der Type-A-Charakter aus der Serie Gilmore Girls. Die Menschen in meinem Umfeld glauben an mich. Sie glauben, dass aus mir schon was wird. Sie sagen, sie machen sich um mich keine Sorgen. Ich schaffe doch immer das, was ich mir vornehme. Aber in meinem Kopf kreisen so viele Gedanken: Was, wenn nicht? Was, wenn ich keinen Erfolg habe? Ich drei mal falsch abbiege? Ich nicht voran komme? Was, wenn ich alle enttäusche?

"Schaut her, ich besitze, also bin ich."

Das macht mich wütend. Ich mache mich wütend. Und meine Selbstzweifel. Und unsere Gesellschaft. Ich weiß nicht, ob es in der Natur des Menschen liegt, oder ob ich es mir mit dieser Annahme zu leicht mache, aber ich glaube: wir Menschen bekommen nie genug. Ich meine es ist schön und wichtig einen gesunden "Drive" zu haben, zielstrebig zu sein und für etwas zu brennen. Allerdings habe ich das Gefühl, wir tun es oft aus den falschen Gründen. Wir streben nach Glück, wollen die größere Wohnung, den besseren Job, das dickere Gehalt auf dem Konto. Wir wollen konsumieren, und den Leuten zeigen, was wir alles haben. Was wir erreichen. Wer wir jetzt sind. "Schaut her, ich besitze, also bin ich." Aber wofür? Weil wir das alles wirklich wollen? Wirklich brauchen? Es uns wirklich glücklicher macht? Oder doch bloß für ein bisschen Anerkennung? Für ein wohliges Gefühl in der Magengrube, das wir nur durch Außenstehende bekommen?

Dieser ganze Konsum-Lifestyle, der schon lange vor Social Media existiert hat, aber bei weitem nicht so präsent war, überfordert mich. Er überfordert mich, weil er mich hier und da behutsam am Arm packt und mir das Gefühl gibt "das brauche ich auch", nur um im nächsten Moment wieder zu realisieren, dass mich das alles nicht glücklich macht. Ich meine klar – ich möchte auch was leisten. Etwas erreichen. Mir hin und wieder Wünsche erfüllen. Aber ich will mich nicht durch materielle Dinge definieren. Ich will nicht horten. Nicht ansammeln. Nicht sinnlos kaufen. Ich brauche Platz zum atmen, und kann mir nichts schlimmeres vorstellen, als meine ganze Wohnung mit Zeug vollzustellen, von dem ich nicht mal weiß, wo es überhaupt herkommt. Ich meine in was für einem Luxus leben wir, dass wir uns das Recht rausnehmen zu denken, es ginge uns nichts an?

Wir streben nach mehr. Immer mehr. 

Uns geht es heute so gut. Zu gut – und trotzdem haben wir immer wieder den Drang, etwas zu optimieren. Angefangen bei unseren Körpern: da müssen die Dellen weg, der Hintern höher sitzen und die Wimpern länger sein. Wir hinterfragen jeden Aspekt unseres Lebens. Gibt es nicht vielleicht da draußen doch noch einen anderen Mann, einen anderen Job, eine andere Stadt oder ein anderer Kontinent, der mich noch mehr mit Glück erfüllt? Eine Überfluss-Gesellschaft, in der uns so viele Möglichkeiten offen stehen, dass sie uns verunsichern und nicht zur Ruhe kommen lassen. Im Jahre 2018 messen wir unseren Wert plötzlich daran wie voll unser Terminkalender ist und wie "unentbehrlich" wir doch sind. Dabei sind wir alle austauschbar. Und weil wir das eigentlich wissen, versuchen wir uns abzuheben. Besser zu sein. Nach etwas Größerem zu streben. Nach mehr. Immer mehr. Konsum erfüllt uns. Für einen kleinen Moment. Und dann kaufen wir wieder. Immer wieder. Und sitzen plötzlich in einem Berg voll Nichts.

Höre mal tief in dich hinein. Was brauchst du im Leben? Was macht dich wirklich glücklich?



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